Kreis Höxter (r). Carolin Becker: „Wir müssen und wollen uns den Herausforderungen stellen“ Mit dem Fachtag „Schule gegen sexuelle Gewalt“ haben die Regionale Schulberatungsstelle und das Schulamt für den Kreis Höxter gemeinsam dazu beigetragen, dass alle Schulen im Kreis Höxter ein eigenes Konzept zu diesem Themenbereich entwickeln oder ein bereits bestehendes anpassen können. Zwei ausgewiesene Experten zogen als Referenten die Teilnehmer in ihren Bann.

„Schätzungen zufolge passieren bis zu einem Drittel aller sexuellen Übergriffe durch Minderjährige. Sexuelle Gewalt ist damit, unabhängig davon, ob sie im häuslichen oder schulischen Umfeld stattfindet, ein Problem, dem sich unsere Schulen stellen müssen“, sagt Diplom-Psychologin Carolin Becker von der Regionalen Schulberatungsstelle für den Kreis Höxter. Gemeinsam mit Schulrat Hartmut Bondzio eröffnete sie den Fachtag in der Aula des Berufskollegs Kreis Höxter in Brakel und brachte ihre Freude über die große Resonanz zum Ausdruck. „Wir wollen auf diesem Weg den schulübergreifenden Austausch zwischen Schulleitungen und Lehrkräften sowie den Mitgliedern der jeweiligen schulischen Krisenteams fördern.“

Zum großen Erfolg trug auch bei, dass es gelungen war, mit Barbara Brune von der Ärztlichen Beratungsstelle gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern aus Bielefeld und Dirk Fiegenbaum vom Institut für soziale Arbeit – Bereich Jugendhilfe und Schule – in Münster zwei hochklassige Referenten zu gewinnen. Welche Herausforderungen bei der Thematik auf die Schulen warten, machte Barbara Brune in ihrem Vortrag deutlich, denn es mangele fast immer an klaren Fakten: „Es gibt keine allgemein gültige Definition, aber alle Formen der sexualisierten Gewalt zeichnen sich durch eine Machtausübung, Herabsetzung und Demütigung aus. Sie stellen immer einen massiven Angriff auf die körperliche, geistige und seelische Gesundheit eines Menschen dar.“

Ursprung der Gewalt sei nicht Sexualität, sondern eine Demonstration von Macht und Überlegenheit, erläuterte Brune. „Sexuelle Gewalt beginnt, wenn Menschen auf ihren Körper reduziert, belästigt und gedemütigt werden. Und sie ist eine geplante, gut vorbereitete und bewusste Tat. Es ist kein Ausrutscher und kein Versehen“. Leider gehöre sexueller Kindesmissbrauch noch immer zum Grundrisiko einer Kindheit in Deutschland. „Vorhandene Erkenntnisse lassen vermuten, dass in jeder Schulklasse betroffene Mädchen oder Jungen sitzen, die sexuelle Übergriffe erlitten haben oder aktuell erleiden – meist außerhalb der Schule, im Elternhaus, im sozialen Umfeld oder durch andere Jugendliche und Kinder, zunehmend auch in den digitalen Medien“, so Brune.

Besonders schwierig gestalte sich die Situation für die Schulen, weil die meisten Kinder aus den verschiedensten Gründen nicht über den Missbrauch sprechen könnten – aus Angst vor den oftmals vom Täter angedrohten Folgen bei der Aufdeckung, aus Scham und Schuldgefühlen oder weil sie Schwierigkeiten hätten, das Erlebte in Worte zu fassen. „Sie zeigen je nach Alter, Persönlichkeit und Entwicklungsstand Verhaltensänderungen und Symptome verschiedenster Art. Es gibt keine spezifischen Hinweise auf sexuellen Missbrauch.“ Bei einem Verdacht sei es vor allem extrem wichtig, die Ruhe zu bewahren. „Nehmen Sie ernst, was das Kind Ihnen sagt“, appellierte Brune an die Zuhörer, „stellen Sie die Aussage der Opfer niemals in Frage.“ Immerhin müssten Kinder sich sieben Erwachsenen anvertrauen, bis ihnen jemand glaube.

Im Hinblick auf das Bundeskinderschutzgesetz wies Barbara Brune auf verbindliche Verfahrensschritte für die Lehrerinnen und Lehrer hin. Die richtige Vorgehensweise vertiefte aber vor allem Dirk Fiegenbaum in seinem Vortrag und benannte dabei zwei entscheidende Faktoren für erfolgreichen Kinderschutz: „Man muss aus Sicht der Kinder und Jugendlichen denken. Noch wichtiger aber ist die Kooperation aller Beteiligten.“ Dabei könnten vor allem die Schulen eine große Rolle spielen: „Die Schule soll ein Kompetenzort und Schutzraum sein: Hier finden Mädchen und Jungen Hilfe, wenn sie im schulischen, aber auch im privaten Umfeld sexuelle Gewalt erleben.“ Dazu wäre es notwendig, dass Kinderschutz sowohl in der Haltung der Mitarbeiter als auch in der Kultur der Schule verankert sei.

Diesen Gedanken nahm Carolin Becker bei ihrem Schlusswort noch einmal auf: „Mit einem Konzept zum Schutz vor sexueller Gewalt werden Schulen einerseits zu Orten, an denen Missbrauch keinen Raum hat. Andererseits helfen Schutzkonzepte Schulen dabei, Hilfe für betroffene Kinder und Jugendliche zu bieten, die außerhalb der Schule Missbrauch erfahren.“ Solche Konzepte würden Schulleitungen und dem pädagogischen Personal an Schulen die Unsicherheit nehmen und ihnen Mut machen. „Sie sind ein Qualitätsmerkmal für gelebten Kinderschutz. Wir hoffen, dass wir mit dem Fachtag hilfreiche Anregungen gegeben haben, dieses Ziel zu erreichen.“

Angeregte Gespräche gab es in der Pause an den verschiedenen Infoständen, die von der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche im Beratungszentrum in Brakel, dem Sozialdienst katholischer Frauen, dem Kommissariat Opferschutz der Polizei, dem Weißen Ring und der Serviceagentur „Ganztägig lernen“, Institut für soziale Arbeit in Münster, in der Aula aufgebaut waren. Weitere Informationen sowie die Vorträge der beiden Referenten gibt es im Internet unter www.kreis-hoexter.de.

Foto: Kreis Höxter